Der Russe

Keiner wusste, wie er eigentlich heisst. Allen war er schlicht als „el ruso“, der Russe, bekannt. Bekannt aber war er im Hostel allemal. Egal zu welcher Tageszeit ich ihn antraf, stets trug er eine silberne Thermoskanne mit sich. Das allein ist nicht ungewoehnlich, viele Leute haben hier heisses Wasser dabei, um ihren Mate (Tee, der hier getrunken wird), damit aufzufuellen. Nicht so der Russe, was ich allerdings erst nach einer Weile bemerkte. Statt Wasser oder Tee fuellte dieser Bier in die Kanne. Irgendwie prakisch, dadurch bleibt es kalt.

Der Russe war nie nuechtern. Schon morgens zum Fruehstueck goss er sich die erste Tasse ein. Fahne hatte er keine, er schwankte nicht, lallte nicht , er wirkte nicht betrunken – wie das bei Alkoholikern so ist. Er war ein freundlicher Mann, redete mit jedem gerne und war dabei schmerzlos offen. Manches wollte ich gar nicht so genau wissen. Dass er gerade erst seine Freundin beglueckt hatte etwa und gedenkt, es gleich wieder zu tun. Zwischendurch kam er auf Damen zu sprechen, die Tiere bevorzugen. Manchmal war auch einfach kein konkreter Zusammenhang erkennbar. Er huepfte mit seinen Gedanken umher, die er grundsaetzlich auszusprechen schien.

El ruso sprach fliessend Spanisch, mit schwerem Akzent. So schwer, wie es sein Bierbauch vermutlich war. Was er eigentlich im Hostel tat, weshalb er in Córdoba war – niemand wusste es. Keiner fragte. Ploetzlich war er weg. Von einem Tag auf den anderen. Und ward nicht mehr gesehen.

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